Mönchsschola, zwei Jugendchöre und das Plenum
Eine ganz spezielle Jugendvigil – am 15. Mai 2015
Über Christi Himmelfahrt fand in Disentis das Schweizer Kinder- und Jugendchorfestival statt – mit 1200 Kindern und Jugendlichen. Die älteren waren am Freitagabend zu einer stillen Stunde im Kloster, zur «Jugendvigil», eingeladen. Ca. 300-400 junge Menschen nahmen von 22.30-23.30 Uhr daran teil.
Abwechselnd sangen eine Mönchsschola der jungen Mönche des Klosters (erweitert mit jungen Männern), zwei Jugendchöre auf der Empore (Singknaben der St.-Urseren-Kathedrale Solothurn und Vokalensemble Incantanti Chur) sowie das Plenum verschiedene geistliche Werke – unter anderem einen Psalm – alle miteinander.
Dekan Pater Bruno Rieder las aus der Bibel vor (König Salomos Bitte um ein hörendes Herz) und sprach über das «Hören». (S. weiter unten).
Bruder Paul Tobler
Veni Creator Spiritus
Eindrücke eines Teilnehmers an der Jugendvigil vom 15. Mai 2015
Es ist kalt beim Einzug in die dunkle Klosterkirche. Die Mönchsschola, der auch ich angehören durfte, singt den uralten Hymnus «Veni Creator Spiritus» («Komm, Schöpfer Geist»). Dabei und bei den nachfolgenden gesanglichen Darbietungen der anderen Chöre überkommt mich der Gedanke, dass es wohl kaum einen angemesseneren Ort für eine solche Jugendvigil als ebendiese Klosterkirche gebe. Da ist kein geheizter Konzertsaal mit bequemen Sitzgelegenheiten, sondern eine auch im frühen Sommer noch empfindlich kühle Kirche mit einfachen Holzbänken. Aber gerade durch diese raue Umgebung, so scheint es mir, kommt die wahre Schönheit dieses Lobpreises Gottes erst voll zur Geltung.
Ich als Sänger verschwinde in der grossen Kirche, der Gesang aber bleibt und entfaltet sich erst so richtig in diesem grossen Raum, in dem vor mir bereits jahrhundertelang gesungen wurde und, so Gott will, auch mindestens ein weiteres Jahrhundert lang gesungen wird. Ich als Sänger werde aber auch immer wieder zum Hörenden.
Gemäss Pater Bruno ist dann auch nicht etwa das Singen das verbindende Element zwischen Mönch und Chorsänger, sondern das Hören aufeinander (siehe Text unten). Und so höre ich, innerlich berührt von ihrer Schönheit, auch die verschiedenen anderen Gesänge, jeder mit seinem eigenen Charakter, und werde dann zum Schluss – beim Auszug der Mönchsschola – noch einmal selbst zum Sänger. Wir singen das feierliche «Salve Regina», das traditionell den Tagesablauf im Kloster beschliesst.
An diesem Abend haben wir gesungen, doch Gott hat sich offenbart. Wenn in den Zuhörern nur ein Funke dieser göttlichen Schönheit Einlass gefunden hat, so war es nicht nur ein schöner, sondern auch ein gnadenreicher Abend.
Michael Meier
Ein hörendes Herz
Impuls von Dekan Pater Bruno Rieder an der Jugendvigil am 15. Mai 2015: Kinder- und Jugendchorfestival in Disentis
Liebe Jugendliche
Was ist die wichtigste Voraussetzung, um ein guter Chorsänger, eine gute Chorsängerin zu sein?
Obwohl ich kein Fachmann für solche Fragen bin, glaube ich: Das Wichtigste in einem Chor ist nicht die gute Stimme, sondern das gute Gehör. Was nützt die schönste Stimme der Welt, wenn jemand damit im Chor alle anderen übertönt oder stets einen Halbton tiefer oder höher als die anderen singt?
Als ich mit 27 Jahren ins Kloster eintrat, sang ich zum ersten Mal seit 12 Jahren wieder in einem Chor – im Chor der Mönche – mit. Die ersten Tage war ich unsicher, getraute mich noch nicht richtig, mitzusingen, aus Angst, falsch zu singen. Doch mit der Übung wurde die Stimme fester, bis mir plötzlich bewusst wurde:
«Stopp, du hast ja vor allem Gefallen an deiner eigenen Stimme. Deshalb bist du zu laut, fügst dich zu wenig in den Chor der Mitbrüder ein. Und vor allem betest du gar nicht wirklich, weil dein Singen kein hörendes Singen ist.»
Seit dieser Zeit bemühe ich mich um ein hörendes Singen, ein Singen, das vor allem offen ist für die Gegenwart Gottes im Chorgesang.
Ein junger Mensch am Beginn des Erwachsenenalters. Das ist die Situation des Königs Salomo im Wort aus der Bibel, das wir soeben gehört haben. Nun kommen verantwortungsvolle Aufgaben auf ihn zu: in Beruf, Familie, im sozialen Verhalten. Viele einzelne Entscheidungen stehen an. Aber auch eine Grundentscheidung:
- Was ist mir wichtig im Leben?
- Nach welchen Massstäben möchte ich mein Leben gestalten?
- Was braucht es, um im Leben glücklich zu werden?
Diese Fragen stellen sich Salomo, als Gott ihm im Traum erscheint und ihn auffordert:
«Sprich eine Bitte aus, die ich dir gewähren soll.»
Was würdest du dir erbitten?
Obwohl ihr alle Chorsänger seid, denken wohl nur wenige von euch an eine Profi-Sängerkarriere. Deshalb würde auch kaum jemand um ein gutes Gehör bitten. Doch genau dies erbittet der junge Salomon von Gott: «Verleihe deinem Knecht ein hörendes Herz.»
Salomo erbittet von Gott keinen Besitz, nichts, was ihm durch äussere Umstände wieder genommen werden kann. Er erbittet sich etwas, was ihn unabhängiger macht von seinen eigenen Grenzen und Schwächen, etwas, was ihn über sich hinausgehen lässt und fähig macht für den Dienst an seinen Mitmenschen. Salomo erbittet sich ein hörendes Herz. Dieses hörende Herz braucht er, «damit er das Gute vom Bösen zu unterscheiden versteht».
Schauen wir hinaus in die Welt, in unsere Umgebung: Wie viel grauenhaft Böses tun Menschen anderen Menschen an. Und fast immer behaupten diese Menschen, sie stünden mit ihren Taten im Dienste eines höheren Ziels, im Dienste des Guten. Die Gabe, das wirklich Gute vom Bösen zu unterscheiden, ist also gar nicht selbstverständlich. Es ist die Gabe, sich nicht dem Mainstream anzupassen und nicht Mitläufer zu sein. Es ist die Fähigkeit, auf das eigene Gewissen zu hören, auf diese leise Stimme im Innern, mit der Gott zu mir spricht und mich lehrt, die Würde jedes Menschen zu achten. Denn jeder Mensch ist Bild Gottes.
Was braucht es an Voraussetzungen, um ein guter Benediktinermönch zu werden? Ihr ahnt es schon: ein gutes Gehör.
Das bedeutet überhaupt nicht, dass jeder Benediktiner eine Chance haben müsste bei der nächsten Staffel von «Deutschland sucht den Superstar». Der heilige Benedikt erwartet eine andere Fähigkeit, wenn er an den Anfang seiner Regel die Werte stellt: «Höre, mein Sohn, auf die Lehren des Meisters, und neige das Ohr deines Herzens.»
Die Benediktsregel beginnt also gerade nicht, wie man sich eine Regel vorstellt, nicht mit Verboten und Vorschriften. Sondern sie beginnt mit einer persönlichen Anrede, einer Einladung, in eine freundschaftliche Beziehung zu treten mit Christus. «Was könnte angenehmer klingen, liebe Brüder, als diese Stimme Christi, der uns einlädt?», schreibt der heilige Benedikt ein paar Zeilen weiter. Wer kein guter Zuhörer ist, kann auch keine tiefen Beziehungen leben. Er gibt dem anderen keinen Raum und kommt ihm so auch nicht wirklich näher. Dieser Andere ist für den heiligen Benedikt Jesus Christus, der im Wort der Heiligen Schrift spricht und der vor allem in jedem Mitmenschen begegnet.
Ihr seht, liebe Jugendliche, das Wichtigste nicht nur für einen Chorsänger, eine Chorsängerin ist ein gutes Gehör. Ein hörendes Herz vernimmt auch den Klang, der die Welt im Innersten erfüllt, die Stimme des Schöpfers der Welt. Ein hörendes Herz lauscht auf die Stimme des Gewissens und tut das Gute – trotz dem Lärm, den Gier, Egoismus und Anpassungsdruck produzieren.
Ein hörendes Herz hält Stille und Schweigen aus, damit auch das Du zu Wort kommen kann.
Dekan Pater Bruno Rieder, Kloster Disentis