Maturaklasse 1990:
Maturajubiläum am 30./31. Mai 2015 – ein Erlebnisbericht
Da war sie nun also gekommen, die Einladung unseres damaligen Klassenchefs und ewigen Organisationstalents Peter Kasahara zu unserem Maturajubiläum. Nicht nur die Maturi hatte er eingeladen, nein, Kami und Edith hatten auch fast alle Weggefährten aus unseren sieben Schuljahren ausfindig machen können.
Voller Vorfreude auf ein Wiedersehen mit den Klassenkameraden aus Disentis und mit der grossen Spannung, wer dann auch wirklich zum Jubiläum erscheinen würde, fuhr ich am Samstag des 30. Mai 2015 die Surselva nach Disentis hoch.
Bei der Warterei an den unzähligen Baustellen auf der Hauptstrasse nach Disentis konnte ich mich noch gut an die Eindrücke erinnern, die die Jubilare anderer Maturaklassen bei mir hinterlassen hatten.
Zu meiner Internatszeit war es üblich, dass die Blaskapelle St. Placi – damals besser bekannt als Panki’s Brass Band – anlässlich der Maturajubiläen ein Ständchen gab.
Als dritter Trompeter hatte ich natürlich nur einen Nebenpart, und so bot sich mir die Möglichkeit, die Zuhörer hinter dem Dirigenten zu betrachten. Mir erschienen die Jubilare damals alle als gestandene Männer und Frauen, die mindestens meine Grosseltern hätten sein können; ausser natürlich den 10-jährigen Maturi, aber diese hatten am Vortag beim Fussballspiel gegen die Klosterauswahl auch nicht besonders beeindruckt.
So machte ich mir dann ein inneres Bild meiner Klassenkameraden, als gestandene Männer mit ergrautem oder lichtem Haar.
Natürlich, wenn ich selber in den Spiegel schaue, dann schaut ja auch nicht mehr der Jüngling von damals zurück...
Treffpunkt war der Theatersaal, pardon, heute natürlich Peter-Kaiser-Saal. Da waren sie also, die ehemaligen Klassenkameraden, so vertraut wie eh und je, aber eben um eine Generation reifer und erfahrener und hoffentlich auch eine gute Portion weiser, als wir seinerzeit im Juni 1990 die Klosterschule Disentis verlassen hatten und meinten, die grosse weite Welt liege uns fortan zu Füssen.
Bereits nach der Begrüssung und dem ersten Small Talk wurde mir klar: das sind ja immer noch die gleichen Kindsköpfe von damals. Dieser Eindruck bestätigte sich denn auch im Verlauf des bis in die Morgenstunden dauernden Festes im Hotel Alpsu. Aber das Zusammentreffen fühlte sich derart vertraut an, wie wenn sich eine Familie nach vielen Jahren wieder getroffen hätte.
In der anschliessenden Multimedia-Show liess Kami unsere sieben gemeinsamen Jahre in Disentis Revue passieren. Ein Aussenstehender hätte dabei meinen können, wir hätten in dieser langen Zeit die Schulbank gar nie gedrückt, sondern seien andauernd auf irgendwelchen Schulreisen unterwegs oder mit pubertären Schulfesten beschäftigt gewesen. Aber es war damals ja auch nicht die Zeit von Digital- und Handykamera, sondern der guten alten Filmrolle, weshalb Fotos nur bei besonderen Anlässen geschossen wurden.
Was mir dabei so richtig bewusst wurde: in den sieben Jahren in Disentis hatten wir uns jedenfalls mehr verändert als in den vergangenen 25 Jahren, und das sowohl beim Aussehen wie auch in der Persönlichkeit.
Keiner hätte ernsthaft bestreiten können, die Zeit an der Klosterschule Disentis hätte ihn nicht irgendwie geprägt, fällt die Mittelschulzeit doch in das Lebensalter der entscheidenden Persönlichkeitsentwicklung und wichtiger Weichenstellungen für das spätere Leben. Was jeder mit seinem in Disentis abgeholten Rucksack angestellt hatte, zeigte sich in den nachfolgenden Vorstellungen der einzelnen Protagonisten.
Die einen haben inzwischen eine beachtliche berufliche und gesellschaftliche Karriere hingelegt, andere hat’s gar in die grosse weite Welt verschlagen, z.B. Florian Heiligensetzer nach Mexiko oder Niklaus Jochberg nach Brasilien. Und die grosse geografische Entfernung hatte Niklaus und seine Ehefrau nicht daran gehindert, am Jubiläum teilzunehmen. Chapeau!
Auf Pater Brunos Führung durch die Kloster- und Schulgemäuer konnten wir die vielfältigen baulichen Veränderungen des vergangenen Vierteljahrhunderts bestaunen. Es war uns aus den Berichten in der Zeitschrift «Disentis» ja schon bekannt, dass z.B. die Schlafsäle in Einzelzimmer mit eigener Nasszelle umgebaut worden sind oder dass das untere Haus mit unserem heiss geliebten «Fass» dem neuen Mädcheninternat weichen musste. Bemerkenswert war für mich persönlich, dass der damalige Waschsaal zu einem Gemeinschaftsraum/Lounge umgebaut worden ist. War das etwa nötig, damit die in den Einzelzimmern untergebrachten Internatsschüler nicht ganz vereinsamen?
Was hätten wir zu unserer Zeit für einen Raum wie den heutigen Kinoraum alles gegeben, mussten wir seinerzeit doch im TV-Raum mit einem alten Röhrenfernsehgerät und einer unbequemen und abgegriffenen Holzbestuhlung vorliebnehmen. Ganz unverständlich auch, dass beste Schultraditionen wie der Klaustrunk abgeschafft wurden mit der Begründung, das Niveau sei stetig tiefer gesunken.
Noch tiefer als zu unserer Zeit? Das war doch gar nicht möglich...
Es bleibt die Frage: cui bono?
Sind diese wohl dem Zeitgeist geschuldeten Veränderungen wirklich zum Guten des Schülers oder ging nicht gerade damit ein Charakteristikum des Internats verloren?
Klar, war es damals hart, aus dem gut behüteten elterlichen Zuhause entrissen zu werden, fortan ein Zimmer mit fünf Mitschülern teilen zu müssen und das TV-Programm nur noch in homöopathischen Dosen verfolgen zu dürfen. Aber gerade von diesen harten Veränderungen im Jugendalter haben wir sehr viel an Werten wie Gelassenheit und Rücksichtnahme auf die Mitmenschen mitgenommen.
Nach durchzechter Nacht im Hotel Alpsu – manch einen zog es erst beim Morgengrauen ins Bett, einer nahm ohne Nachtruhe sogar den ersten Zug nach Zürich, um familiären Verpflichtungen nachzukommen – stand am Sonntag der Gottesdienst auf dem Programm. Anschliessend führte Pater Bruno uns zu den geschichtlichen Anfängen des Klosters, also zu den Ausgrabungen der frühmittelalterlichen Kirchen im Innenhof.
Ganz überrascht waren wir von seiner Schilderung, das Kloster Disentis habe nach neuesten archäologischen Erkenntnissen im Grunde genommen einen heidnischen Ursprung.
Verkommt die Geschichte des Wandermönchs Sigisbert in der unbewohnten Gegend der Desertina bald auch zu einer verklärten Legende wie die vom Wilhelm Tell?
Zum Abschluss unseres Jubiläums waren wir in den Räumlichkeiten des neuen Pilgersaals zum Mittagessen mit der Klostergemeinschaft eingeladen.
In seiner Festansprache brachte unser Klassenkamerad Daniel Foppa das auf den Punkt, was wohl viele Klosterschüler aus ihrer Zeit in Disentis mitgenommen haben: «Das Kloster geht also mit der Zeit. Aber seine DNA ist weiterhin wohltuend der Zeit entrückt. Das Kloster ist nicht weltfremd. Aber es ist ein Gegenentwurf zu der Welt, in der wir alle stecken. Nicht ohne Grund heisst das Buch, das vor fünf Jahren über Disentis erschienen ist: ‹Das Kloster Disentis. Ein Buch über die Welt›.
Ich habe aus Disentis mitgenommen, dass es Werte wie Beständigkeit, Transzendenz und gelebte Mitmenschlichkeit gibt. Dass es Menschen gibt, die sich so konsequent für ihre Ideale einsetzen, dass sie diesen ihr Leben widmen. Und dass es etwas geben muss, das die Grundlage für all das ist, was in Disentis seit 1400 Jahren gelebt wird.»
Remo Cahenzli, Sagogn
v.l.n.r. sitzend: Pater Pirmin Gnädinger, Bettina Deplazes (Partnerin Romeo Deplazes), Rubia Santini (Partnerin Niklaus Jochberg), Denise Gerth, Astrid Ender-Lozza, Isabella Hegglin Blumenthal, Edith Oechslin-Decurtins
v.l.n.r. 1. Reihe stehend: Andreas Beer, Franca Chiocetti (Partnerin Beda Durschei), Sabine Wiederkehr (Partnerin Josef Wiederkehr), Beda Durschei, Niklaus Jochberg, Romeo Deplazes, Gian-Luca Lardi
v.l.n.r. 2. Reihe stehend: Dekan Pater Bruno Rieder, Thomas Ender (Partner Astrid Ender-Lozza), Daniel Foppa, Fabio Marchesi, Andreas Dorner, Josef Wiederkehr, Sandra Kasahara (Partnerin Peter Kasahara), Peter Kasahara
v.l.n.r. 3. Reihe stehend: Gieri Maissen, Andrew Rüdlinger, Salvatore Pittà, Remo Cahenzli, Vigeli Jacomet, Urs Hürlimann, Niklaus Oechslin (Partner Edith Oechslin-Decurtins), Daniel Niederberger (Partner Denise Gerth)