«Eine Wende zum Guten ist nicht in Aussicht»
Orientkorrespondent Ulrich Tilgner im Forum Kloster Disentis: Ulrich Tilgner gab vor berstend vollem Peter-Kaiser-Saal Auskunft zu den aktuellen Konflikten im Orient.
Der Aufmarsch war so stark wie selten – wenn nicht wie noch nie – am Forum Kloster Disentis. Zahlreiche zusätzliche Stühle mussten herbeigeschafft werden. Verständlich: Man wollte einmal den deutschen Journalisten Ulrich Tilgner sehen und hören, der über Jahre beinahe jeden Abend über das Fernsehen zu uns kam mit seinen interessanten Berichten aus dem kriegerischen Irak. Mit starker Stimme hat er es verstanden, auf eindrückliche und fesselnde Art und Weise die dramatischen Konflikte, die tagtäglich zu Krieg, Zerstörung, Terror, Toten und Verletzten im Nahen Osten führen, zu erklären.
30 Jahre Erfahrung als Konzentrat von 1½ Stunden
Mit Recht hat Pater Urban Affentranger als verantwortlicher Leiter des Forums Ulrich Tilgner als profunden Kenner der von den Konflikten im Nahen Osten betroffenen Regionen vorgestellt, wo dieser während 30 Jahren lebte. Über anderthalb Stunden hat der Referent diese schwierige Thematik erklärt und illustriert, wobei er sich auf die grundsätzlichen Aspekte des Konflikts im Nahen Osten konzentrierte. Dieser werde noch lange andauern, stellte er in stark pessimistischem Ton fest. Eine Wende zum Guten werde es für den Moment nicht geben.
Saddam Hussein «lebt» weiter
Die Konfliktzonen reichten von Marokko bis zu Ägypten und von Syrien bis zu Pakistan. Der Islam sei alles andere als einig. Der «Islamische Staat» im Norden Syriens und des Iraks werde von einheimischen Stämmen und Anhängern, die teilweise noch aus der Armee des ehemaligen Diktators Saddam Hussein des Iraks stammten, unterstützt. Hinzu kämen zahlreiche Freiwillige, die meisten von ihnen aus Tunesien (3000), Saudi-Arabien (2500) und Russland (2000) und noch aus zahlreichen anderen Ländern, auch aus dem Westen.
Die Rolle der USA
Die amerikanischen Luftangriffe auf die Gebiete des «Islamischen Staates» hätten wenig verändert, obwohl dieser schwach sei und dann das Öl nicht verkaufen könne. Die USA würden den antiterroristischen Regionen Berater und Kriegsmaterial für astronomische Summen zur Verfügung stellen. Die Ölreserven am Persischen Golf seien enorm – insgesamt 50 Prozent von jenen auf der ganzen Welt.
Keine Christen mehr in 30 Jahren
Einst dominierten in dieser Region die Kommunisten, gefolgt von den Nationalisten, und heute sind es die Islamisten. Die Christen als Minderheit waren nie an der Macht beteiligt. Die Regierenden sind skeptisch, weil sie die Christen als fünfte Kolonne des Westens ansehen. Deshalb werden sie verfolgt.
Bis zum Jahre 2000 blieb die Zahl der Christen in diesen Ländern stabil mit einigen Prozenten der Bevölkerung. Seither ist ihre Zahl um die Hälfte geschrumpft (in Syrien von 10 auf 5 Prozent und im Irak von 5 auf 2 Prozent). Der Druck, Terror, Attentate und Tötungen von Christen nähmen derart zu – auch weil sie in den Westen fliehen könnten –, dass es in 30 Jahren im Nahen Osten keine Christen mehr gebe.
Wachsende Bevölkerung, wachsende Flüchtlingsströme
Stark zunehmen werde auch die Zahl der Flüchtlinge aus den Ländern von Pakistan bis Syrien in Richtung Westen. In diesen Staaten nehme die Bevölkerung stark zu. Man habe keine Möglichkeit, sie zu ernähren, weil diese Länder wirtschaftlich sehr schwach seien. Tausende würden auswandern. Unter ihnen auch die Fähigsten.
Der Kampf zwischen Israelis und Palästinensern werde andauern. Der Grund liege darin, dass Israel keinen Staat Palästina wünsche und die Palästinenser von sich aus nicht in der Lage seien, einen solchen zu realisieren.
Die Spannungen zwischen dem Iran und den USA würden trotz der Vereinbarung der letzten Tage bleiben. Die islamische Iranrepublik wolle nicht die Atombombe, aber die Fähigkeit erlangen, eine solche zu produzieren. Der Iran werde ökonomisch immer stärker.
Das Fazit von Ulrich Tilgner
Die Konflikte im Osten bleiben mit all ihren Facetten von Grauen, Terror und Tod. Der Westen könne wenig tun, um sie zu lösen. Traurige Aussichten.
Giusep Capaul und Gieri Dermont
15. April 2015: «Der Westen und der Orient» – der Gast und der Gastgeber: Ulrich Tilgner und Pater Urban Affentranger, Spiritus rector und Organisator der Veranstaltungen im Forum Kloster Disentis.